Sweet and innocent/

Geschichten über Spieler- und Nichtspieler-Charaktere des VSWR-Universums
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Canticor
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Beitrag von Canticor » Montag 27. September 2004, 18:01

Wukkar, Findris Sektor. 1300 Ortszeit, Wukkyalata.


Die große Strasse war gesäumt von kleineren Geschäften aller Art. Zwischen Boutiquen und Lebensmittelläden eilten hochbepackte Menschen und
Nichtmenschen hin und her. Gerade hatten die meisten Schüler in der Innenstadt von Wukkyalata frei bekommen und die meisten Werktätigen hatten Mittagspause.

So flanierten tausende Lebensformen durch die Großstadt. Hoch bepackt mit Tüten und Schachteln ließen sie ihre hart erarbeiteten Credits in den
verschiedenen Läden um ihr Leben ihrer Meinung nach zu verbessern.

Mitten in der Einkaufsmeile lag ein kleines Geschäft. Es lag in der oberen Etage eines Verkaufshauses über einem Bäcker, seine Fenster waren von innen mit Spiegelfolie beklebt und eine uralt wirkende Leuchttafel einer planetenweiten Transportfirma zeigte darüber in unregelmässig flackernden Abständen neben einem stilisierten Shuttle vollkommen überhöhte Preise für die kleinsten Transporte an.

Niemand hatte in den letzten drei Monaten dieses Geschäft betreten oder verlassen da niemand den Preis für ein ausgiebiges Mittagessen für den Versand eines einfachen Datenpads bezahlen wollte, so verstaubten die Fenster von aussen und immer mehr Spinnen hielten die Winkel in der Backsteinfassade für einen angenehmen Wohnort.

Doch Augen sind nicht nur Fenster zur Seele, auch Fenster können manchmal Augen sein.
Hinter einem breiten silbrig verspiegelten Fenster stand Agent Fsort und starrte auf die Menschenmengen unter sich herab. Die wukkarsche Wirtschaft florierte, der Binnenmarkt warf so viel Steuereinnahmen ab, dass bald eine neue Flotte in den Bau kommen würde. Seine Untergebenen und Spitzel am Raumhafen des Planeten hatten ihn bereits vor Wochen darauf hingewiesen, dass neben der zivilen Raumfahrt auch die militärische ihre Produktion erhöhen würde. Nur zurecht.

Die Kriegsgrenze hier im Findris Sektor war Wukkar erstaunlich nahe gekommen.
Ins Kaiserreich eingegliedert könnte dieser Planet sich fantastisch machen, leider führte die hohe Population auch dazu, dass die republikanischen Bürgerwehren hier zwar schlecht ausgerüstet, aber immens hochfrequentiert waren. Ein echtes Problem für eine militärische Offensive.

Fsort rieb sich das unrasierte Kinn. Aber auch ein Umstand, der rasch zum Vorteil werden könnte. Es kam immer auf den Standpunkt an.
Mit den Augen verfolgte er ein Kind, das mit einem roten Luftballon in ein gegenüberliegendes Geschäft rannte und seine Mutter hinter sich herzog. Die abgehetzte Frau war offensichtlich nicht unbedingt froh, durch den Eingang der von riesigen Clowns und Teddybären flankiert wurde hineingeschleppt zu werden ins bunteste und schrillste Geschäft der Strasse, das die Kinder wie Licht die Motten anzog. Fsort musterte das im Eingang verschwindende Kind und lächelte.

Jedes Kind auf diesem Planeten könnte mit einer Umerziehung ein imperialer Soldat werden.

Oder besser noch, ein Bürger. Die wahre Macht, so lernte man in den Reihen des imperialen Geheimdienstes, kam von der Überzeugung.
Man konnte jeden Widerstand militärisch brechen, doch Kontrolle wurde nicht nur durch Sternenzerstörer und Panzergewalt aufrechterhalten. Sanierte Strassen, funktionierende Fernsprechzellen und instandgehaltene Krankenhäuser waren die Waffen, die das Imperium im Kampf um die Überzeugungen einsetzte.

Dennoch war Gewalt notwendig. Gewalt, wie sie in Kürze verübt werden würde. Es war undenkbar, der Rebellion an dieser heiklen Stelle des Frontverlaufs eine Aufstockung der Planetenflotte zu gewähren. Jedes noch so kleine Schiff, das zu den Hauptbrennpunkten abgezogen werden könnte und die ohnehin übermächtige Republikflotte verstärkte war ihm ein Dorn im Auge.



Eine Gruppe von Männern in einfacher, funktionaler Kleidung ging gelassen über die Strasse. Ihre Overalls zeichneten sie als Handwerker der Sonderschicht des Raumhafens aus, Fluglotsen im Urlaub. Sie betraten die Bäckerei und griffen sich Tabletts um die selbstzusuchende Ware mit den Greifzangen aus dem Selbstbedienungsbereich zu nehmen.
Jeder griff sich eine Kombination aus normalen, belegten und gerösteten Brötchen aus planeteneigenem Weizenmehl, genug um die nächste Schicht einigermassen satt zu überstehen. Die Männer näherten sich der Kasse und legten die Tabletts mit den Backwaren auf die Kassiertheke.

Sie zückten bereits die Geldbörsen, als der erste aus ihrer Reihe kurz mit der Kassiererin sprach.
Diese blickte ihn verstört an, doch als er ihr nicht ganz zwei Sekunden einen kleinen Gegenstand ins Sichtfeld hielt wurde sie kreidebleich, nickte aber, öffnete die kleine Tür im Verkaufstresen und trat zur Seite.

Es kam Bewegung in die Männer. Nach perfekter Absprache gingen sie zügig durch die Tür in den Backbereich, der vom Verkaufsraum aus nicht einsehbar war.
Noch während die Verkäuferin mit ihrer Werbemütze leicht irritiert wieder an ihren Platz an der Kasse trat, waren sie bereits verschwunden.

Beim Weg durch verstörte Backbedienstete in weissen Kitteln mit Haarnetzen sprachen die Männer kein Wort. Aber als sie die Hintertür des Raumes mit den vielen Öfen, in denen im Akkord Selbstbedienungsbackwaren vom Band liefen, erreicht hatten drehten sie sich ein letztes Mal mit wachsamem Blick um. Es gab kein Zögern, keine erneute Absprache. Der vorderste Mann machte sich einen Moment an der Tür zu schaffen, dann öffnete er sie und ging hindurch.

Jeder der Männer warf beim Passieren der Tür achtlos sein Tablett mit den, noch warmen, Backwaren in den Mülleimer neben der Tür und nahm die abgewetzte Werkzeugtasche, die jeder von ihnen trug von der Seite vor die Brust.

Rasch rannten die Fluglotsen durch Treppenhaus nach oben, jeder entnahm der breiten Werkzeugtasche einen Gesichtsschutz, den er an die Front des kleinen Helms ansteckte, der von jedem der Lotsengürtel baumelte. Das war nötig um eventuell herumfliegende Teile vom Gesicht abzuwehren. Als sie die Helme aufsetzten justierten sie ausserdem die Helligkeitseinstellungen des kleinen Sichtfensters in der Front.
Ein halbes dutzend leere Werkzeugkoffer fielen zur Seite, als die Männer sich den schmalen Brustschutz umgeschnallt und den letzten Gegenstand entnommen hatten.

Die "Lotsen" standen nun in einem engen und schmierigen Korridor aufgereiht mit ihren Blas-Tech E-11 Gewehren.
Einer von ihnen war ausgestattet mit einem Granatwerfer, den er soeben eilig durchlud. Mit einem Nicken signalisierte er dem ersten der Gruppe, der nun das einsternige Ribbon eines Commanders auf der Brust trug, dass der Ladevorgang abgeschlossen sei.


Fsort drehte sich in einer Vorahnung zur Tür. Irgendetwas war da. Er leugnete allen Glauben an die diversen Gottheiten oder spirituellen Richtungen der Galaxie, die Macht oder den hoxhstilisierten Kaiserkult der im Untergrund immer wieder auftrat. Doch irgendetwas sagte ihm, dass es eine gute Idee sei, sich jetzt flach auf den Boden zu werfen.

Die beiden jungen Sekretäre schauten zwei Sekunden lang hoch, als ihr Vorgesetzter sich in seinem graugrünen Anzug auf den Boden warf und ein paar Momente lang mit den Armen ruderte, bis er sie über dem Kopf zusammenschlug.

Mit kraus gezogenen Stirnen warteten sie beide einige lange Sekunden ab, in denen Fsort regungslos verharrte. Peinlich berührt schauten beide weg, als der ältere Mann auf dem Boden zwischen den Fingern durchlugte und Anstalten machte, sich wieder zu erheben.

Dann passierte es. Die Luft explodierte im grellen Neonschein einer Blendgranate in einem Leuchten, dass einem sämtliche Netzhaut wegfräsen konnte, schaute man nicht rechtzeitig weg. Noch bevor die Sekretäre und das andere Personal in den wenigen Geschäftsräumen sich rührten, stürmten sechs Gestalten, durch die farbigen Schleier vor den Augen kaum erkennbare Gestalten in den Raum. Sie rannten umher, schrien laute Sätze in betäubte, nicht aufnahmefähige Ohren und pressten Gegenstände in diverse Nacken. Fsort war klar, was passierte, trotz der Tatsache dass all seine Sinne benebelt waren. Obwohl er durch seinen frühzeitigen und lächerlichen Wurf in Deckung den Großteil des Angriffs nicht mitbekommen hatte war das leichte Prickeln auf seiner Haut genug um ihm zu verraten, dass er
es mit einer republikanischen "Wardog" phosphorbasierten Sturmblendgranate zu tun hatte. Sicher waren ein, zwei Leute davon gerade gestorben. Und er wusste genau, wer das zu verantworten hatte.
Der NRI machte keine halben Sachen.


"Schau mal Mami! Feuerwerk!" Das kleine Kind hatte die Spielzeugabteilung gerade verlassen und zufällig zum gegenüberliegenden Gebäude herübergeschaut und ein Leuchten durch die verspiegelten Scheiben des hässlichen Hauses gesehen.
"Jaja." Die abgekämpfte Mutter zog ihr Kind aus dem Eingangsbereich weiter. "Wahrscheinlich ein Kurzschluss oder sowas. Komm jetzt, wir brauchen noch ein paar Orangen für den Salat."


Ein Stockwerk darüber beobachtete ein weit weniger beiläufiges Paar Augen, wie das Leuchten Gegenüber langsam verglühte und erlosch.
Mr. Jukilla faltete die langen Finger hinter dem Rücken. Sein Lächeln wurde breit, es schien sich bis hinter die Ohren zu ziehen. Seine Haare standen jugendlich nach oben und liessen ihn agil und dynamisch wirken, während die Falten die sich unleugnebar neben seinen Augen und in seinem Gesicht abzeichneten dem auf dem Sechzigjährigen den Anschein eines vertrauensvollen, gutmütigen Großvaters gaben.

Mit vergnügten Zügen beobachtete er, wie in den nächsten Minuten ein Großraumgleiter einer Teppichspedition vorfuhr. Einige Männer in Arbeitsoveralls stiegen zu und brachten mehrere Kisten mit, bevor der Gleiter verschwand. Jukilla hatte keinen Zweifel daran, dass das erst die erste Fuhre an Gefangenen und Daten war, die der NRI verlud.

Es war eine Frage der Zeit gewesen, bis das Lockbüro dort aufgespürt worden wäre und nun war es eingetreten. Nun, es würde ein neues von der Art geben.
Ein verspiegeltes, Einsames Gebäude, das auf eine Strasse herunterschaute. Der alte Mann lachte leise ein angenehmes, glockenartiges Lachen und wirkte dabei sehr freundlich. So war es doch schon lang nicht mehr.

Der alte, freundliche Mann lächelte in sich hinein und merkte sich, dass in der Nähe ein neues Büro des IGD eingerichtet werden müsse, besetzt mit zweitklassigen Agenten, die die reine Kampfeslast auf Wukkar übernehmen sollten aber keinen Zugang zu den größeren Plänen hatten. Eine neue Doppelfunktion um zu nutzen und gleichzeitig abzulenken. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, die gleichen Geschäftsräume einfach ein weiteres Mal zu wählen, doch das wäre vielleicht doch zu auffällig gewesen, so viel Einfältigkeit konnten die Spezialisten des NRI dem Imperium nicht zutrauen. Die Gegenseite war gut, verdammt gut.

Der alte Mann hatte Respekt vor den direkten Gegenspielern.

Und doch... seine klaren, sympathischen Augen verfolgten das kleine Mädchen mit dem roten Luftballon, das an den Rockschößen der Mutter eilig durch die Strassen gezogen wurde.

Das Mädchen, das eine nagelneue Knuddelpuppe mit nach Hause brachte.

Eines von tausenden.
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