Was ich in deinen Träumen suche? I

[Canticor]

Er hing da. Irgendwie wünschte er sich, er wäre gestorben. Oder war er gestorben? Ein meckerndes Lachen ertönte.

Es war dunkel hier, aber wenigstens warm. Schmerz.
Er spürte, wie seiner rostigen Kehle ein Schrei entrann. Als hätte eine Peitsche seinen Rücken getroffen, bäumte er sich auf und die Erinnerung war wieder da.

Seine Augen waren geschwollen, sein Rücken geschunden. Er spürte wie ein langsam fliessender Tropfen sich den Weg aus seinem Gesicht in Richtung Kinn machte.

Ein meckerndes Lachen ertönte. Der Mann hob den Kopf und die Gewissheit in wessen Händen er war wurde erschreckend real.
Seine bizarre Silhouette zeichnete sich sogar vor dem absoluten Dunkel hier noch ab. Es schien, als habe er Mühe, sich zu kontrollieren.
Der Mann erinnerte sich, wie sein Gegenüber ausgesehen hatte, damals.

Ohne den Mummenschanz, Mantel, Hut und diesen Ausdruck. Diesen unaussprechlichen Ausdruck vor dem es ihn scheute, ekelte. Er wollte sein Gesicht abwenden, einfach nur abwenden von dem Ding, das nie hatte sein sollen.

Ihm in die Hände zu fallen war das letzte was ihm jemals hätte passieren dürfen - und irgendwo auch das letzte das er jemals erwartet hatte. Niemals hatte er die Hand gegen sie erhoben. Niemals den leisesten Zweifel geäussert, so lang hatten sie sich um ihn gekümmert, ihn geheilt.

Das meckernde Lachen wurde lauter. Gepanzerte Hände packten den Mann, rissen ihn brutal von seinem Haken. Sein trockener Mund, den er vor klebriger Trockenheit kaum öffnen konnte, errang die Möglichkeit zu sprechen. Nur eine Sache gab es, die er zur Sprache bringen musste.

"Wieso tust du mir das an?"
Das Lachen erstarb. Ein Keuchen trat auf. "Wieso?"
Es setzte mit nicht enden wollender Intensität wieder ein.
"Wir holen dich nach Hause, 6."
Sein Gegenüber zögerte einige Sekunden, wie im Ringen nach Worte vereist.
Dann kam er ihm ganz nah.
"Es wird mir einen immensen Spaß machen, dich zu zerbrechen."

Der Mann schmunzelte überlegen.
"Du weisst doch, wer wir sind. Du kannst uns gar nicht zerbrechen. Wir denken nicht in diesen Kathegorien."
Sein Gegenüber drehte sich um, vom Mummenschanz in eine alptraumhafte Gestalt verwandelt, die der ärmlichen, zugrundegerichteten Gestalt von früher so unähnlich war. Als habe man ein Würmchen in einen Körperpanzer gesteckt.
"Was war dein erster Gedanke, als du aufwachtest?"
Er richtete sich, so weit es sein Körper zuließ, stolz auf und antwortete auf diese Standardfrage die Standardantwort.
"Ich erwachte mit der Reinheit in mir und dem Gedanken an das übergeordnete Prinzip der Fehlerlosigkeit." Doch er brach sofort ab. Ihm war, als müsse er sich übergeben als blitzschnell in seinem Kopf die Erinnerung an sein Aufwachen aufflammte.

Er hatte nur an sich selbst gedacht, an seine Schmerzen, das Dunkel um ihn, seine Angst. Ihm ekelte vor sich selbst.
"Scheinheiland." Sein Gegenüber lachte wie ein Wahnsinniger, der er zweifellos auch war und legte einen Moment den Kopf in den Nacken, so dass der Mann das volle Ausmass sehen konnte. Da war nur Hass, Neid, Tod, Vergeltung, Rache, Krieg, kein Zeichen von Seele. Der Gegenüber atmete tief ein, sammelte sich. Es war, als würde all der Zorn wieder aufgesogen, verpropft und hinter der makellosen Maske des Gesichts eingesperrt. Er grüßte perfekt militärisch, und nickte den Panzergestalten hinter dem Mann zu, bevor er den Raum verließ und die Dunkelheit Einkehr hielt.

Laute Schreie zerfetzten den gesamten Raum und der Mann erkannte dass es seine eigenen waren. Der Schmerz war unvorstellbar aber gleichgültig. Ihn ekelte einmal mehr vor sich selbst. Als er im Dunkeln nur noch die Fetzen seines ursprünglich weissen Gewandes sah, die mit seinem eigenen Blut als Zeichen seines Schmerzes besudelt war sprang ihm die Sinnbildlichkeit dieses Gegenstandes ins Auge.

Er erbrach sich.

Wieder und immer wieder.